Eine Frühschicht im ambulanten Pflegedienst – Was es für Angehörige und Pflegekräfte bedeutet, kranke Menschen in der häuslichen Umgebung zu pflegen, war für mich als Nichtbetroffene schwer vorstellbar. Deshalb durfte ich Schwester Hedwig von der Sozialstation Reckendorf heute auf ihrer Frühtour begleiten. Morgens um sieben starteten wir und besuchten zehn Patienten mit den unterschiedlichsten Erkrankungen und Pflegestufen in Baunach und Reckendorf.
Gut gelaunt erklärt Hedwig auf der Fahrt, was auf mich zukommt. Naja, aber so richtig kann ich es mir trotzdem nicht vorstellen. Als wir bei unserer ersten Patientin eintreffen schläft sie noch und muss geweckt werden. Auf dem Plan steht Hilfe beim An- und Auskleiden, Mund-, Zahnpflege, Hautpflege, Teilkörperwäsche, Transfer, Hilfe bei Darm- und Blasenentleerung, Zeit: 32 Minuten. Ob das zu schaffen ist? Hedwig gehen alle Handgriffe schnell und sicher von der Hand. Es sieht leicht aus, das ist es aber nicht. Denn den vorgegebenen Zeitrahmen einzuhalten und dem Mensch, der bedingungslos auf die fremde Hilfe angewiesen ist, die nötige Zuwendung entgegenzubringen ist ein Balanceakt. Trotzdem, Hedwig meistert das mit einer Leichtigkeit, die mich verblüfft. So professionell und dennoch die Persönlichkeit der Pflegebedürftigen würdigend, erlebe ich sie bei allen anderen Patienten auch. Schwester Hedwig erkundigt sich während der Pflege oder hinterher bei den Angehörigen nach Auffälligkeiten und beantwortet geduldig alle Fragen. Ob es das Anziehen von Kompressionsstrümpfen ist oder die Vollpflege eines Patienten, bei allen Tätigkeiten behält Hedwig ihre gute Laune und ist jederzeit zum Scherzen aufgelegt. Die Patienten, die tagsüber allein sind, weil die Angehörigen im Berufsleben stehen, sind dankbar für die Hilfe und natürlich für die Abwechslung vom täglichen Einerlei. Schwester Hedwig plaudert während sie die Pflegeleistungen ausführt und erhält so wichtige Informationen, z.B. ob Medikamente regelmäßig eingenommen werden oder ob ausreichend getrunken wird. Bei bettlägerigen Patienten ist es wichtig jede Hautfalte im Auge zu behalten, um ein Dekubitusrisiko (Dekubitus = Wundliegegeschwür) nicht zu übersehen. Am Ende der Pflege werden alle Pflegeleistungen und Auffälligkeiten in der Krankenakte des Patienten dokumentiert. Dazwischen muss Hedwig Dienste umorganisieren, weil eine Schwester krankheitsbedingt ausgefallen ist. Telefonisch wird noch ein Beratungstermin mit Angehörigen für den Abend abgestimmt, wieder ist ein kranker Mensch auf die Dienste der Schwestern der Sozialstation angewiesen.
So besuchen wir Patient für Patient. Überall werden wir schon erwartet und freundlich empfangen - auch ich, die Fremde. Es fühlt sich gut an, willkommen zu sein. In der Zeit in der Hedwig die Grundversorgung vornimmt, schenke ich den Patienten ein Lächeln oder ein Streicheln, mehr kann ich nicht tun. Andere Patienten, die noch agil und selbstständig sind, freuen sich über einen kleinen Plausch. Wir sind schon ziemlich am Ende der Tour angelangt, als ich merke, wie erschöpft ich bin. All das, was ich gesehen, gehört und erlebt habe ist schwer zu verarbeiten. Wie schafft man es bloß, sich einen gesunden Abstand von Krankheit und Tod, mit dem man in diesem Job täglich konfrontiert ist, zu bewahren? Hedwig erklärt mir, dass es ihr wunderbar gelingt, ganz bei den Patienten zu sein und sobald sie ihren Einsatz beendet hat, sich völlig entspannen zu können. Mein Respekt und Bewunderung für alle Menschen, die diesen Dienst leisten, ist an diesem Tag bis zum Himmel gewachsen. Es ist jetzt Mittag. Wir fahren zurück zur Station.